Im 2. Weltkrieg gab es in Russland neben den militärischen
Auseinandersetzungen auch
unbeschreibliche Kriegsverbrechen durch die SS hinter der Front.
Wir haben jetzt Abschnitte aus dem Tagebuch 1941 des Ordonnanzoffiziers von
General Adolf Heusinger, dem späteren ersten Generalinspekteur der Bundeswehr,
damals Stabschef der Heeresgruppe Mitte, übertragen. Herr Timmann wird uns
daraus jetzt einen Abschnitt verlesen.
Lesung: H. Timmann
Gehrholz hatte das nach hinten ziehende Heer gesehen bei Smolensk. Es wäre
grauenhaft, sie verhungert, zerlumpt herauswanken zu sehen. Mit Knüppeln u.
Kolbenstößen angetrieben, ein Stöhnen u. Seufzen vor Hunger u. Kälte hätte die
Kolonne begleitet. Am Wege, der großen Autobahn entlang – lägen reihenweise die
Toten. Die Autos fahren ohne Rücksicht drüber weg. – Es mag dies vielleicht im
Großen nicht zu ändern sein – entgegen unserer Propaganda zum Überlaufen,
die alles herrlich darstellt, aber das mir Furchtbare ist die Gesinnung, in der
die Frage überall, auch bei uns hier, betrachtet wird u. die jede Moral u. Ethik
vermissen lässt u. zwar eigentlich nur bei der neuen Generation bis zum
Hauptmann. Die Älteren vom Weltkrieg denken anders. Man sieht das alles
ungerührt – gut, wenn von diesem Volk möglichst viele verrecken! Bezeichnend ist
das Erlebnis von Gehrholz mit einem Arzt b. s. Bataillon. Vorbei kommt ein eben
gefangener Russe mit zerschossenem Arm, wahnsinnig blutend. Der Arzt hat keinen
Deutschen zu versorgen, den ganzen Tag geruht, russ. Verbandmaterial in Massen.
Er tut nichts. Auf Frage Gehrholz erwidert er: Ach, die Russen sind ja der
Genfer Konvention nicht beigetreten, u. muss erst v.G. in Trab gebracht werden!
Dasselbe ist mit der Judenfrage. Man wählt die grauenhafte Lösung:
Die Juden, die in den letzten Tagen schon 3 Mill. Rubel zahlen mussten, u.
alle Wertgegenstände abgeliefert haben, ahnen ihr Schicksal. Auf den Knien
liegen sie, ganze Familien u. wimmern um Gnade. Andere begehen Selbstmord oder
flüchten zur Beresina runter, Schüsse knallen. Dann fahren Lastwagenkolonnen
heran, auf die alles wahllos geladen wird. In der Nähe der ehemaligen H.Gü. d.
H.Gru ist hinter einem Wald von Gefangenen eine 400 m lange, 4 m tiefe und 5 m
breite Grube ausgehoben worden. Die Juden müssen ihre Oberkleidung u. Schuhe
ablegen, die nach Borissow zurückgefahren wird. Dann beginnt der SD. aus Russen
sein Werk. Männer, Greise, Frauen, Kinder und Säuglinge werden in die Grube
hineingeschossen. 24 Stunden knattern M.G.´s u. Masch.Pist. 6500 Juden wurden
hineingeschossen!!! Und wir nennen uns eine Kulturnation und dünken uns wer weiß
was!
Lied EG 430: Gib Frieden, Herr, gib Frieden (Str. 1-2)
(Text Jürgen Henkys 1980)
1. Gib Frieden, Herr, gib Frieden,
die Welt nimmt schlimmen Lauf,
Recht wird durch Macht entschieden,
wer lügt, liegt oben auf.
Das Unrecht geht im Schwange,
wer stark ist, der gewinnt.
Wir rufen: Herr, wie lange?
Hilf uns, die friedlos sind.
2. Gib Frieden, Herr, wir bitten!
Die Erde wartet sehr.
Es wird so viel gelitten,
die Furcht wächst mehr und mehr.
Die Horizonte grollen
der Glaube spinnt sich ein.
Hilf, wenn wir weichen wollen,
und lass uns nicht allein.
Predigtttext: A.Rathig
Römer 8, 22-26
Wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt
und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den
Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der
Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. Denn wir sind zwar gerettet, doch auf
Hoffnung.
Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf
etwas hoffen, was man sieht? Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen,
so warten wir darauf in Geduld.
Desgleichen hilft auch der Geist unserer Schwachheit auf.
Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich´s gebührt; sondern der
Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.
Ansprache: T.Götting
Predigttext: Römer 8, 22-26
„Die Toten sind bei uns“
Wir sind heute Morgen viel mehr, als die, die wir hier versammelt sind.
Die Toten der beiden Weltkriege und die vielen anderen Opfer von Krieg und
Gewalt – sie sind bei uns.
Du fragst, woher ich das weiß? Wohnst Du denn wirklich ganz allein, ohne dass
die Toten mal vorbeischauen? Meinst Du denn, Du wärest wirklich nur Du – ohne
Spuren in der Vergangenheit, ohne Wurzeln, die Dich tragen, ohne Liebe, die Dich
geboren hat?
Und: Hast Du nicht Deine längst verstorbene Großmutter oder Deinen
umgekommenen Urgroßvater jammern hören, als sie wieder anfingen nach dem Krieg
mit dem Aufrüsten, als sie immer noch lernten, dass und wie man Kriege führen
soll?
Wir sind heute morgen viel mehr, als wir, die wir hier sichtbar versammelt
sind. Die Toten der Kriege – sie sind bei uns.
Einigen haben wir eine Stimme gegeben, haben gehört, wie sie das Leid
erlebten – so haben wir versucht, Dank der Arbeit der Sütterlinstube, wiederum
einem Stück unfassbarer Geschichte einige Gesichter zu geben.
„Geschichte von unten“ – hat man das einmal genannt – und meinte damit, dass
nicht die hohen Herren aus den Geschichtsbüchern damit zu Wort und in den Blick
kommen, die häufig genug am grünen Tisch und in ziemlicher, persönlicher
Sicherheit kaltblütig mit dem Leben einer ganzen Generation spielten, sondern
einfache Leute, Menschen wir Du und ich, Leute von unten.
Menschen, die in der Tat ganz unten saßen: In der Hölle der Grabenkämpfe,
eingebuddelt in die Erde, sich fast lebendig begraben fühlend, so gesehen in der
Tat: „Geschichte von unten“.
Auch Gott ist ein „Geschichte-von-Unten-Schreiber – sandte er doch Jesus
herab auf die Erde zu uns, damit wir in keiner Phase unseres Lebens das Gefühl
hätten, Gott sei abwesend, Gott sei nicht schon längst hier gewesen…
Gott hat sich selber ein Gesicht gegeben auf der Erde – ein Gesicht der Liebe
und des Friedens und der unbedingten Gewaltlosigkeit – und wir möchten dem oft
so namenlosen Leid, den Opfern von Gewalt eine Stimme, ein Gesicht geben.
Geschichtsschreibung als Gesichts-Beschreibung…
Am Volkstrauertag erinnern wir uns an das, was war.
Aber mehr noch. Wir tun etwas, was das Wort für „erinnern“ im Englischen
„remember“ für mich so tief ausdrückt: remember – jemanden wieder (re-) zu einem
Mitglied (member) machen. Wenn ich mich an jemanden erinnere, remember, dann
wird er wieder zu einem Mitglied der großen Menschheitsfamilie – auch wenn der
Lauf der Geschichte ihn schon fast dem Vergessen anheim geben wollte. Wenn wir
uns erinnern an Menschen, dann geben wir ihnen so wenigstens ein Stück ihrer
Würde zurück, weil es nötig und soweit das noch möglich ist.
Wir sind nicht allein, heute, wir, die wir hier sind. Die Toten der Kriege –
sie sind bei uns.
Aber mehr noch: Der Apostel Paulus erinnert uns auch an etwas, das wir fast
zu vergessen drohten: Wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem
Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet.
Die Schöpfung, Gottes gute alte Erde – sie seufzt mit uns. Sie weint mit uns,
sie hofft mit uns.
Und viel mehr noch: der, der der Grund der Erde ist, der Schöpfer Himmels und
der Erde – Gott selber ist nicht wegzudenken aus dieser seiner Hände Werk.
Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt – sondern der
Geist selber, Gott höchstpersönlich – vertritt uns mit unaussprechlichem
Seufzen.
Für mich ist einer der tiefsten und wichtigsten Sätze aus unserem alten,
dicken Buch, ohne das wir nicht leben wollen und können. Wieder und wieder höre
ich diese Worte in den chromatisch-seufzenden Wendungen, die Sankt Johann
Sebastian diesen Worten in seiner Motette „Der Geist hilft unsrer Schwachheit
auf“ gegeben hat.
Und während die Töne in mir noch Wohnung nehmen, ahne ich auf einmal ganz
neu: In jedem Geschöpf, das sich ängstet, das stöhnt und seufzt … ängstet und
stöhnt und seufzt Gott selber. Er vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen, er
tut etwas für uns, wenn uns die Worte, die Gebete, die Lieder auch fehlen … ja:
er übernimmt einen Teil der Trauerarbeit für uns, er ist an unserer Seite, auch
wenn wir ihn gar nicht mehr wahrnehmen.
Gott ist Gedächtnis, liebe Gemeinde, Gott erinnert sich an die Opfer – hat er
doch selbst in ihnen geseufzt und gelitten, Gott erinnert sich – remember – gibt
jedem Geschundenen und Verhöhnten und seine unverlierbare Würde zurück, Gott ist
Gedächtnis.
Liebe Gemeinde, damit ist uns immer noch kein Rosengarten versprochen. Damit
ist nicht gesagt, dass das Paradies auf Erden käme oder wir es gar herstellen
könnten.
Manche würden sich ja genau das wünschen und wenden sich deswegen ab von
einem Gott, der nicht als Deus ex machina aus der Theaterkulisse heraus donnert
und ein Reich des Friedens und der Liebe errichtet auf Erden.
Mir geht es anders. Diesem Gott des Mitleids, der selber alle Tränen und
alles Leiden kennt, diesem Gott kann ich glauben, der ist meines Glaubens würdig
– ein ewig angestrengt zufrieden lächelnder Glücksgott würde meine Fragen,
meinen Zweifel, meine Trauer nicht ernstnehmen…
Mein Gott geht einen anderen Weg. Er leidet mit und in den Schwachen. Er
stöhnt in den Opfern. Er gibt sich schließlich selber hin.
Das Kreuz in unserer Kirche will uns daran erinnern. Der senkrechte Pfahl
scheint immer länger zu werden. Immer mehr dem Himmel entgegenzuwachsen.
So wie Paulus sagt: Die Erde sehnt sich nach Erlösung.
Das Ängsten, das Seufzen soll verwandelt werden in Lob und Freude.
Aber auch dafür steht das Kreuz in unserer Kirche, denn es ist leer.
Ihr sucht den Toten, die Toten, alle Opfer von Gewalt? Sie sind heute hier,
ja, sicher – aber sie sind noch mehr: Weil Gott sich ihrer erinnert – (remember)
– darum leben Sie an seiner Seite. Für alle Zeit.
Kyrie eleison- sieh wohin wir geh’n -
Ruf auch uns aus den Toten, lass uns auferstehen.
Amen.
Und zu diesem Gott können und wollen wir uns jetzt gemeinsam bekennen:
Glaubensbekenntnis
Ich glaube an Gott, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde,
und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn,
empfangen durch den heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria.
Gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel,
er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters,
von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten.
Ich glaube an den heiligen Geist,
eine heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben.
Amen.
Lied EG 97: Holz auf Jesu Schulter (Str. 2-5)
(Text Jürgen Henkys 1977)
2. Wollen wir Gott bitten,
dass auf unsrer Fahrt
Friede unsre Herzen
Und die Welt bewahrt.
Kyrie eleison,
sieh, wohin wir gehen.
Ruf uns aus den Toten,
lass uns auferstehen.
3. Denn die Erde klagt uns
an bei Tag und Nacht.
Doch der Himmel sagt uns:
Alles ist vollbracht!
Kyrie eleison,
sieh, wohin wir gehen.
Ruf uns aus den Toten,
lass uns auferstehen.
4. Wollen wir Gott loben,
leben aus dem Licht.
Streng ist seine Güte,
gnädig sein Gericht.
Kyrie eleison,
sieh, wohin wir gehen.
Ruf uns aus den Toten,
lass uns auferstehen.
5. Denn die Erde jagt uns
auf den Abgrund zu.
Doch der Himmel fragt uns.
Warum zweifelst Du?
Kyrie eleison,
sieh, wohin wir gehen.
Ruf uns aus den Toten,
lass uns auferstehen.
Abkündigungen: T.Götting
Fürbittengebet: T.Götting
Ewiger Gott, der du Gedächtnis bist, in deinem Buch des Lebens ist niemand
verloren, niemand wir ausradiert oder dem Vergessen anheim gegeben. Du hast alle
Menschen in deine Hände gezeichnet, und deine Stimme hast du immer schon den
Opfern geliehen –
Wir denken vor dir an so viel Leben, das zerbrach, ausgelöscht wurde, an
soviel nicht geliebte Liebe – an so viele Wunden, die bis heute nicht verheilt
sind, an die bitteren Narben auf den Seelen von Menschen…
Ewiger Gott, der du Gedächtnis bist, hilf uns erinnern, (remember) damit die
Opfer ihre Würde wieder bekommen und ihren Platz in unserer Mitte,
lass uns nicht vergessen, was war.
Wir denken vor dir an all die Orte von Gewalt und Krieg und Terror auch
heute, wir können sie gar nicht alle aufzählen – aber du kennst sie ja ohnehin,
Gott, denn du bist ja dort – um in den Stummen zu schreien, um in den
Geängsteten zu seufzen … und um Waffen in Pflugscharen zu machen, um Gewehre aus
den Händen gleiten zu lassen, um für Frieden zu werben…
Ewiger Gott, lass uns aber auch nicht vergessen, was dein Wort uns sagt: wir
sind gerettet auf Hoffnung.
Lass uns die Hoffnungszeichen sehen: Die Frauen und Männer, die den Frieden
wagen, die den Hass überwinden, die die Spirale der Gewalt durchbrechen.
Lass uns deine gute Schöpfung nicht vergessen, die seufzt wie wir, aber die
uns immer wieder Zeichen des Lebens und des Friedens schickt: In einer Blume, in
den Bäumen, im Rauschen des Windes und der Meere, die dich, Gott, loben von
Ewigkeit zu Ewigkeit, so wie der Mandelzweig, der wieder Blüten treibt – sei er
uns ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt.
Und was uns sonst bewegt, das bittet eine jede, ein jeder für sich jetzt in
der Stille noch dazu.
Vater unser
Vater unser im Himmel,
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib und heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein sind das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Schriftlesung: P. Hohn
Micha 4, 1-5
In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf des HERRN Haus ist, fest
stehen, höher als alle Berge und über die Hügel erhaben. Und die Völker werden
herzulaufen, und viele Heiden werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinauf
zum Berge des HERRN gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre
seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln! Denn von Zion wird Weisung ausgehen
und des HERRN Wort von Jerusalem.
Er wird unter großen Völkern richten und viele Heiden zurechtweisen in fernen
Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln
machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden
hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird
sie schrecken. Denn der Mund des HERRN Zebaoth hat´s geredet.
Ein jedes Volk wandelt im Namen seines Gottes, aber wir wandeln im Namen des
HERRN, unseres Gottes, immer und ewiglich!
Lied EG 606: Freunde, dass der Mandelzweig
(Text Schalom Ben-Chorin 1981)
Freunde, dass der Mandelzweig
wieder blüht und treibt,
ist das nicht ein Fingerzeig,
dass die Liebe bleibt.
Dass das Leben nicht verging,
so viel Blut auch schreit,
achtet dieses nicht gering
in der trübsten Zeit.
Tausende zerstampft der Krieg,
eine Welt vergeht.
Doch des Lebens Blütensieg
leicht im Winde weht.
Freunde, dass der Mandelzweig
sich in Blüten wiegt,
bleibe uns ein Fingerzeig,
wie das Leben siegt.
Segen: T.Götting
Orgelnachspiel: J.Götting
Einladung zum Blumenpflanzen vor der Kirche: T.Götting